Der Bundesverband PHAGRO begrüßt den Willen des Bundesministeriums für Gesundheit, mit dem Gesetzentwurf eines Gesetzes für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (GSAV), als Reaktion auf die Vorkommnisse mit gefälschten bzw. verunreinigten Arzneimitteln, Schäden in Fällen eines Arzneimittelrückrufes oder sonstiger Mängel eines Arzneimittels auf den Verursacher zurückzuführen.
Der pharmazeutische Großhandel unternimmt erhebliche Aufwendungen bei der tatsächlichen Mitwirkung bei Rückrufen und Rücknahmen von der Apotheke über den Großhandel an den pharmazeutischen Unternehmer, unterliegt aber grundsätzlich nicht der arzneimittelrechtlichen Produkthaftung im Falle von Qualitätsmängeln oder Arzneimittelfälschungen, solange diese nicht innerhalb seines Verantwortungsbereiches verursacht wurden und deshalb vom Großhändler nicht zu vertreten sind.
Gewährleistungsansprüche der Apotheken im Wege einer im Sozialrecht verankerten Forderungsabtretung an gesetzliche Krankenversicherungen dürfen aber dann nicht über den pharmazeutischen Großhandel abgewickelt werden, wenn der pharmazeutische Großhändler den Mangel nicht zu vertreten hat. Wenigstens muss es in solchen Fällen auch dem pharmazeutischen Großhändler ermöglicht werden, seine Gewährleistungsansprüche gegen den pharmazeutischen Unternehmer auch an die Krankenkasse abzutreten, soweit bereits eine Abgabe des betroffenen Arzneimittels erfolgt ist.
Zu Artikel 12 Nr. 12 – Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch – § 131a (Neu)
§ 131a (Neu) Ersatzansprüche der Krankenkasse
Der PHAGRO fordert den Gesetzgeber auf, zu vermeiden, dass pharmazeutische Großhändler in das Verfahren zur Minderung des Kaufpreises aufgrund der Durchsetzung von mängelbegründeten Gewährleistungsansprüchen im Wege der Forderungsabtretung an gesetzliche Krankenkassen involviert werden, wenn und soweit der pharmazeutische Großhändler den Mangel nicht zu vertreten hat.
Die Bezugnahme auf einen bestehenden zivilrechtlichen Anspruch der Apotheke gegen ihre Lieferanten widerspricht dem erklärten Ziel der Regelung, durch Schaffung eines verschuldensunabhängigen Anspruchs der Krankenkassen gegen den pharmazeutischen Unternehmer eine Regelungslücke zu schließen. Der Gesetzentwurf unterstellt zu Recht, dass die Krankenkassen nach derzeitiger Rechtslage im Falle eines Rückrufs weder gegen den pharmazeutischen Unternehmer noch gegen die Apotheke einen zivil- oder sozialrechtlichen Anspruch auf Schadensersatz oder Minderung haben.
Gesetzlicher Anspruchsübergang auch für Gewährleistungsrechte des pharmazeutischen Großhändlers gegen den Vorlieferanten
Fraglich bleibt, warum die vorgesehene Regelung nicht auch den Fall erfasst, dass Gewährleistungsrechte des pharmazeutischen Großhändlers gegen seinen Vorlieferanten oder den pharmazeutischen Unternehmer im Falle eines bereits abgegebenen mangelbehafteten Arzneimittels auf die gesetzliche Krankenkasse übergehen und an diese abgetreten werden können.
Eine Rückgriffmöglichkeit des Großhändlers auf den pharmazeutischen Unternehmer unter den besonderen Voraussetzungen des § 131a SGB V ist ebenso wenig vorgesehen, wie ein gesetzlicher Übergang des Anspruchs auf die Krankenkasse. Ohne Berücksichtigung des Verursacherprinzips könnte die Krankenkasse gegen den pharmazeutischen Großhandel vorgehen, der dann seinerseits gegen den pharmazeutischen Unternehmer vorgehen müsste. Der pharmazeutische Großhändler müsste dann wiederum das Ausfallrisiko im Hinblick auf die Erfüllung seiner Forderung durch den pharmazeutischen Unternehmer tragen. Die Regelung erweckt den Anschein, als sollten hier sozialrechtliche Beispiele eines gesetzlichen Forderungsübergangs, wie er z. B. in § 116 SGB X geregelt ist, mit der Weiterreichung eines Abschlags durch die Handelsstufen in § 130a Abs. 1 SGB V kombiniert werden. Diese Beispiele sind jedoch aus rechtlichen Gründen nicht geeignet, das angestrebte Regelungsziel zu erreichen.
Das in § 441 BGB geregelte Minderungsrecht ist seit dem Inkrafttreten der Schuldrechtsreform 2002 nicht mehr ein schuldrechtlicher Anspruch gegen den Verkäufer, sondern ein gesetzliches Gestaltungsrecht, das vom Käufer wahrzunehmen ist. Ob dieses Gestaltungsrecht überhaupt eigenständig abtretbar ist, ist sehr umstritten.
Die Regelung soll nach der Begründung „den Schaden“ der Krankenkasse „zum Verursacher zurückwälzen“. Die Minderung bemisst sich jedoch nicht nach einem eingetretenen Schaden, sondern allein nach dem Wertunterschied zwischen mangelfreier und mangelhafter Kaufsache. Die Konstruktion über das Minderungsrecht der Apotheke ist also nicht geeignet, als Rechtsgrundlage für den Ersatz von Schäden der Krankenkasse herzuhalten. Die entsprechenden Ansprüche sind inhaltlich nicht kongruent.
Im Unterschied zum Rabatt nach § 130a Abs. 1 SGB V liegt hier keine unbestrittene und bezifferte bzw. bezifferbare Forderung vor, die quasi durch die Handelskette „durchgereicht“ werden kann. Selbst wenn die Minderung wirksam erklärt wurde, hängt die Höhe einer möglichen Forderung von zahlreichen Voraussetzungen ab, insbesondere von der Bewertung des Mangels zum Zeitpunkt des Verkaufs. Dieser Verkauf fand auf den verschiedenen Handelsstufen zu einem jeweils unterschiedlichen Zeitpunkt statt. Abgesehen davon ist nicht erkennbar, welcher Mangel jeweils auf welcher Ebene überhaupt geltend gemacht werden kann.
Fraglich ist ferner, ob bei einem Rückruf oder einer behördlichen Verwendungseinschränkung überhaupt die Voraussetzungen der Minderung vorliegen, und wenn ja, in welchen Fällen dies gilt.
Der Anspruch nach Satz 2 setzt nach §§ 441, 437 BGB voraus, dass zum Zeitpunkt des Gefahrenübergangs ein Sach- oder Rechtsmangel der Kaufsache vorlag. Arzneimittelrückrufe und behördlich bekannt gemachte Einschränkungen der Verwendbarkeit können auf einem Qualitätsmangel, dem Verdacht einer Arzneimittelfälschung, einem negativen Nutzen-Risiko-Verhältnis oder einer zulassungsbezogenen Maßnahme beruhen. Die zuständige Bundesoberbehörde kann das Ruhen der Zulassung oder den Rückruf eines Arzneimittels auch anordnen, sofern ihr Tätigwerden aufgrund neuerer Erkenntnisse zum Schutz der Umwelt geboten ist.
Das bedeutet, dass nicht in jedem Fall eines Rückrufs bereits zum Zeitpunkt des Gefahrenübergangs an die Apotheke ein Mangel der Kaufsache vorlag. So können Rückrufe auch bei einwandfreier, zulassungsgemäßer Zusammensetzung und Qualität des Arzneimittels auf einem veränderten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse beruhen, der nachträglich zu einer neuen Nutzen-Risiko-Abwägung führt. In diesem Fall ist zumindest strittig, ob ein Sach- oder Rechtsmangel bereits zum Zeitpunkt des Gefahrenübergangs an die Apotheker oder den Großhändler bestand.
Keine Pauschalierung von Gewährleistungsansprüchen möglich
Soweit zwischen GKV-Spitzenverband und den Spitzenverbänden der pharmazeutischen Unternehmer und des pharmazeutischen Großhandels die näheren Einzelheiten für die Geltendmachung und Abwicklung der auf die Krankenkassen übergegangenen Ersatzansprüche, insbesondere aber eine Pauschalierung vereinbart werden können sollen, überschreitet eine solche den Rahmen des rechtlich Erlaubten. Gewährleistungsansprüche und deren Geltendmachung unterliegen dem juristisch materiellen und prozessrechtlichen Bestimmtheits- und Wesentlichkeitsgebot. Pauschbeträge – d. h. insbesondere ein pauschalierter Schadensersatz oder ein pauschalierter Minderungsanspruch entsprechen nicht den abschließend festgelegten schuldrechtlichen Normvorgaben, zumindest nicht, wenn die entsprechenden Normvorgaben des AGB-Rechts nicht zwingend eingehalten werden.
Keine Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen von Arzneimittelgroßhändlern durch den Bundesverband PHAGRO e. V.
Der Gesetzentwurf sieht vor, dass der GKV-Spitzenverband mit den für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildeten Spitzenorganisationen der pharmazeutischen Unternehmer und des pharmazeutischen Großhandels auf Bundesebene die näheren Einzelheiten für die Geltendmachung und Abwicklung der auf die Krankenkassen übergegangenen Ersatzansprüche vereinbaren soll. Der Bundesverband PHAGRO e. V. ist weder auf der Grundlage seines Vereinssatzungszweckes, noch vertraglich befugt, Einzelforderungen gegen seine Mitgliedsunternehmen, Gewährleistungsansprüche gegen oder von diesen gegenüber deren Gläubigern oder Dritten oder mit deren Organisationen zu verhandeln. Aufgrund der wettbewerbs- und kartellrechtlichen Relevanz wäre für den Fall, dass ein derartiges Verhandlungsmandat gesetzlich übertragen wird, eine wettbewerbs- und kartellrechtliche Freistellung durch den Gesetzgeber, mindestens aber durch das Bundeskartellamt notwendig, wenn und soweit eine Vertretungsbefugnis des Bundesverbandes für seine Mitgliedsunternehmen zur Verhandlung von Anspruchspauschalierungen begründet werden soll.
Fazit:
- Recht zur Forderungsabtretung von Gewährleistungsansprüchen muss auch für den pharmazeutischen Großhandel gelten.
Der PHAGRO fordert, dass Gewährleistungsansprüche der Apotheken im Wege einer im Sozialrecht verankerten Forderungsabtretung an gesetzliche Krankenversicherungen übergehen, dann aber nicht über den pharmazeutischen Großhandel abgewickelt werden dürfen, wenn der pharmazeutische Großhändler den Mangel nicht zu vertreten hat. Wenigstens muss es in solchen Fällen dann auch dem pharmazeutischen Großhändler ermöglicht werden, seine Gewährleistungsansprüche gegen den pharmazeutischen Unternehmer ebenfalls an die Krankenkasse abzutreten.
- Keine Pauschalierung von Gewährleistungsansprüchen
- Keine Vertretungsbefugnis des PHAGRO + kartellrechtliche Bedenken
Der PHAGRO ist weder auf der Grundlage seines Satzungszweckes, noch vertraglich befugt, Einzelforderungen gegen seine Mitgliedsunternehmen, Gewährleistungsansprüche gegen oder von diesen zu verhandeln oder zu pauschalieren. Aufgrund der wettbewerbs- und kartellrechtlichen Relevanz wäre für den Fall, dass ein derartiges Verhandlungsmandat gesetzlich übertragen wird, eine wettbewerbs- und kartellrechtliche Freistellung durch den Gesetzgeber, mindestens aber durch das Bundeskartellamt notwendig.
Der PHAGRO | Bundesverband des pharmazeutischen Großhandels e. V. vertritt alle 11 in Deutschland ansässigen vollversorgenden pharmazeutischen Großhandlungen, die sämtliche öffentlichen Apotheken in Deutschland herstellerneutral mit allen von Patienten nachgefragten Arzneimitteln schnell, sicher und flächendeckend versorgen.