Der Bundesverband PHAGRO e. V. begrüßt den Willen des Bundesministeriums für Gesundheit, zur Vermeidung nachteiliger Auswirkungen infolge der SARS-CoV-2-Epidemie und befristet auf den Zeitraum der vom Deutschen Bundestag festgestellten epidemischen Lage von nationaler Tragweite, Maßnahmen zur Sicherstellung der Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln, deren Wirk-, Ausgangs- und Hilfsstoffen, Medizinprodukten, Labordiagnostika, Hilfsmitteln, Gegenständen der persönlichen Schutzausrüstung und Produkten zur Desinfektion zu ergreifen.
Der Bundesverband PHAGRO stellt jedoch fest, dass zwei Regelungsinhalte der Verordnung überarbeitet bzw. ergänzt werden sollten.
Im Allgemeinen:
1. Gemäß § 8 Abs. 3 S. 4 und 5 des RefE soll das Bundesministerium für Gesundheit anordnen können, dass ein Produkt des medizinischen Bedarfs, das mit einem Verbot nach § 8 Abs. 3 Satz 2 oder Satz 3 belegt ist, zu einem behördlich festzusetzenden Preis an die Bundesrepublik Deutschland, ein Bundesland oder eine Kommune oder eine andere benannte juristische oder private Person abzugeben ist, wobei sich der behördlich festzusetzende Preis nach dem üblichen Verkaufspreis des Produktes zu richten hat, den dieses vor Feststellung der epidemischen Lage hatte.
Nach Auffassung des PHAGRO kann eine solche Regelung allenfalls für Ware gelten, die schon vor der festgestellten epidemischen Lage gekauft und / oder im Lager war. Anderenfalls würde die vorgesehene Regelung zwangsläufig dazu führen, dass kein Wirtschaftsbeteiligter nach dem Zeitpunkt der Feststellung der epidemischen Lage Produkte des medizinischen Bedarfs zu dann regelmäßig erhöhten Preisen einkauft. In einer Pandemie bei weltweitem Wettbewerb um knappe Güter kann nicht mehr zu alten Preisen eingekauft werden, wie die aktuelle Situation beweist.
Aufgrund der vom Verordnungsgeber vorgesehenen Unwirtschaftlichkeit derartiger Beschaffungs- und Verkaufsprozesse für Produkte des medizinischen Bedarfs, werden alle Wirtschaftsbeteiligten, nicht zuletzt aufgrund eines drohenden, staatlich verordneten Verlustgeschäfts, entsprechende Beschaffungsbemühungen für Produkte des medizinischen Bedarfs während des Zeitraums einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite unterlassen.
2. § 2 RefE sieht eine Ermächtigungsgrundlage für die zuständigen Behörden vor, Ausnahmen vom Apothekengesetz und von der Apothekenbetriebsordnung zu gestatten, um Apotheken im Fall einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite erforderlichenfalls ein hohes Maß an Flexibilität für die ordnungsgemäße Versorgung und die Erfüllung des gesetzlichen Versorgungsauftrages einräumen zu können.
Die Notwendigkeit der Gestattung von Ausnahmen von regulatorischen Erfordernissen für die zuständigen Behörden kann sich aber auch für den Regelungsbereichs des pharmazeutischen Großhandels ergeben. Deshalb ist aus der Sicht des PHAGRO den zuständigen Behörden eine Ermächtigungsgrundlage für die Gestattung von Ausnahmen vom Arzneimittelgesetz (§ 52a AMG) und der Arzneimittelhandelsverordnung (AM-HandelsV) zu schaffen. Wir schlagen daher vor, einen zusätzlichen Paragrafen (Ausnahmen vom Arzneimittelgesetz und von der Arzneimittelhandelsverordnung) aufzunehmen.
Im Einzelnen:
Zu § 8 Abs. 1 SARS-CoV-2-Arzneimittelversorgungsverordnung (Marktüberwachung)
In § 8 Abs. 1 RefE wird eine Anordnungsermächtigung für das Bundesministerium für Gesundheit geschaffen, im Benehmen mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie anordnen zu können, dass Produkte des medizinischen Bedarfs (vgl. § 8 Abs. 4 RefE) einer Marktüberwachung durch das Bundesministerium für Gesundheit unterliegen. Unmittelbare Folge der Marktüberwachung sei daher die Auskunftspflicht der Hersteller und Vertreiber gegenüber dem BMG nach Absatz 2 und die Möglichkeit, dass der Handel mit den Produkten nach Maßgabe des Absatzes 3 beschränkt werden kann.
Der PHAGRO weist darauf hin, dass Maßnahmen der Marktüberwachung so zu organisieren und durchzuführen sind, dass Wettbewerbsverzerrungen vermieden und die Versorgungssicherheit sowie der Umfang und die Qualität der Erfüllung des Sicherstellungs- und Bereitstellungsauftrages des pharmazeutischen Großhandels gemäß § 52 b AMG nicht gefährdet werden.
Eine hohe Wirksamkeit der vorgesehenen Maßnahmen der Marktüberwachung kann nur gewährleistet werden, wenn ein länderübergreifend einheitliches Handeln der zuständigen Behörden sichergestellt wird. Daher müssen die im Einzelfall zu ergreifenden Maßnahmen bundesweit den gleichen Maßstäben folgen. Dies gebietet die Verpflichtung zur Wettbewerbsneutralität. Der PHAGRO begrüßt die Entscheidung des Verordnungsgebers, Maßnahmen der Marktüberwachung in die alleinige Zuständigkeit des Bundesministeriums für Gesundheit im Benehmen mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie zu geben.
Zu § 8 Abs. 2 (Melde- und Mitwirkungspflichten)
Gemäß § 8 Abs. 2 RefE sollen Hersteller und Vertreiber von nach Absatz 1 überwachten Produkten verpflichtet sein, dem Bundesministerium für Gesundheit oder einer von diesem benannten Stelle auf Verlangen jederzeit und unverzüglich Auskünfte über die Bestände, die Produktion, den Vertrieb und die Preise der erfassten Produkte zu erteilen.
Der PHAGRO weist darauf hin, dass derartige Auskunftsersuchen des Bundesministeriums für Gesundheit oder von diesem benannter Behörden für den pharmazeutischen Großhandel nur dann sinnvoll ausführbar sind, wenn die Anordnung zur Bestandsmeldung oder Auslieferung eines Produkts auf eine Pharmazentralnummer (PZN) bezogen wird.
Eine eineindeutige Zuordnung von Auskunftsersuchen nach § 8 Abs. 2 RefE auf Produkt- (PZN-) – und nicht, wie bislang gehandhabt, auf Wirkstoffebene – können unverzüglich, eindeutig und unmittelbar vom Großhandel umgesetzt und damit zusätzliche, über den durch derartige Auskunftsersuchen verursachten erheblichen operativen Aufwand, hinaus resultierende Aufwände vermieden werden.
Zu § 8 Abs. 3 (Verkaufs- und Verpflichtungsverbot)
Gemäß § 8 Abs. 3 RefE soll das Bundesministerium für Gesundheit den Handel mit den o. g. überwachten Produkten einschränken und nähere Modalitäten für die Abgabe und die Preisfestsetzung treffen können. Das BMG soll gegenüber jedermann ein Verbot erlassen können, Produkte des medizinischen Bedarfs zu verkaufen, soweit dies zur Sicherstellung der Versorgung der Bevölkerung erforderlich ist. Das Verbot kann sich auch auf die anderweitige Verpflichtung zur Überlassung sowie auf die Überlassung zur Erfüllung bereits eingegangener Verpflichtungen erstrecken. Das Bundesministerium für Gesundheit soll gemäß § 8 Abs. 3 RefE anordnen können, dass ein Produkt des medizinischen Bedarfs, das mit einem Verbot nach Satz 2 oder Satz 3 belegt ist, zu einem behördlich festzusetzenden Preis an die Bundesrepublik Deutschland, ein Bundesland oder eine Kommune oder eine andere benannte juristische oder private Person abzugeben ist. Der behördlich festzusetzende Preis hat sich dabei nach dem üblichen Verkaufspreis des Produktes zu richten, den dieses vor Feststellung der epidemischen Lage hatte.
PHAGRO weist grundsätzlich darauf hin, dass die vorgesehenen Maßnahmen nach § 8 Abs. 3 RefE enteignenden, mindestens aber enteignungsgleichen Charakter haben können.
Eine solche Regelung kann im Einzelnen allenfalls nur für Ware gelten, die bereits vor der epidemischen Lage von nationaler Tragweite gekauft, vereinnahmt und im Lager war:
Beispiel:
Angenommen der Einkaufspreis für den Großhandel einer Schutzmaske (z. B. FFP 2) erhöht sich von 0,50 € auf 10 € und der Verkaufspreis lag zuvor bei 1 € netto. Sollte es dem Großhandel gelungen sein, bspw. zur Linderung eines behördlich festgestellten Versorgungsmangels 10 Mio. Masken zum höheren Preis einzukaufen (= 100 Mio. gesamter EK-Preis), wäre das Unternehmen aufgrund einer Maßnahme nach § 8 Abs. 3RefE gezwungen, diese Masken für 1 € z. B. an Krankenhäuser abzugeben, da dieser Preis vor dem Zeitpunkt der epidemischen Lage von nationaler Tragweite galt.
In diesem Fall hätte die Großhandlung einen staatlich verordneten Verlust von 90 Mio. € erzielt.
Die mit § 8 Abs. 3 RefE vorgesehene Regelung wird dazu führen, dass kein einziger Händler mehr Masken oder andere knappe, aber versorgungsrelevante Güter einkauft. Während einer Pandemie ist es in einem globalen Wettbewerb keinem Händler möglich, zu „alten“ Preisen einzukaufen.
PHAGRO schlägt deshalb eine Regelung vor, die sich an den Aufschlägen und Spannen sowie Instrumenten der Arzneimittelpreisverordnung orientiert und dadurch sichergestellt ist, dass der pharmazeutische Großhandel bei der behördlich angeordneten Abgabe an einen bestimmten Adressaten jedenfalls keinen finanziellen Verlust erleidet, weil der Einkaufspreis den behördlich angeordneten Abgabepreis übersteigt.
Bei der behördlich angeordneten Preisfestsetzung müssen die Regelungen aus § 291 StGB und 138 BGB unberührt bleiben und somit auch bei staatlichem Handeln vollumfänglich Anwendung finden.
Zu § 8 Abs. 4 (Definition Produkte des med. Bedarfs)
Produkte des medizinischen Bedarfs gemäß § 8 Abs. 4 RefE im Sinne des Absatzes 1 sind Arzneimittel, deren Wirk-, Ausgangs- und Hilfsstoffe, Medizinprodukte, Labordiagnostika, Hilfsmittel, Gegenstände der persönlichen Schutzausrüstung und Produkte zur Desinfektion.
Der PHAGRO schlägt vor, dass darüber hinaus auch weitere apothekenübliche Produkte in den medizinischen Bedarf einbezogen werden können sollten. So können insbesondere auch supplementierende parenterale Ernährungen und Nahrungsergänzungsmittel, die nicht zum bisherigen durch den RefE vorgesehenen Regelungsbereich gehören, zum medizinischen Bedarf zählen.
„Ausnahmen vom Arzneimittelgesetz und von der Arzneimittelhandelsverordnung“
Abschließend weisen wir darauf hin, dass der § 2 RefE SARS-CoV-2-Arzneimittelversorgungsverordnung Ausnahmen vom Apothekengesetz und von der Apothekenbetriebsordnung vorsieht. Danach können die zuständigen Behörden ein Abweichen von den Vorschriften des Apothekengesetzes und der Apothekenbetriebsordnung gestatten, soweit dies erforderlich ist, um eine ordnungsgemäße Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln, einschließlich Betäubungsmitteln nach Anlage III zu § 1 Abs. 1 des Betäubungsmittelgesetzes, Medizinprodukten und weiteren apothekenüblichen Waren weiterhin sicherzustellen.
Eine vergleichbare Regelung sollte den zuständigen Behörden auch für ein mögliches Abweichen von den Vorschriften des Arzneimittelgesetzes und der Arzneimittelhandelsverordnung (AM-HandelsV) zum Zwecke einer ordnungsgemäßen Versorgung der Apotheken durch Arzneimittelgroßhandlungen als Ermächtigungsgrundlage für die Gestattung entsprechender Ausnahmen während einer epidemischen Lage vom Verordnungsgeber eingeräumt werden.
Formulierungsvorschlag zusätzlicher Paragraf „Ausnahmen vom Arzneimittelgesetz und von der Arzneimittelhandelsverordnung“
§ X
Ausnahmen vom Arzneimittelgesetz und von der Arzneimittelhandelsverordnung
Die zuständigen Behörden können ein Abweichen von den Vorschriften des Arzneimittelgesetzes und der Arzneimittelhandelsverordnung gestatten, soweit dies erforderlich ist, um eine ordnungsgemäße Versorgung der Apotheken durch Arzneimittelgroßhandlungen mit Arzneimitteln, einschließlich Betäubungsmitteln nach Anlage III zu § 1 Absatz 1 des Betäubungsmittelgesetzes, Medizinprodukten und weiteren apothekenüblichen Waren weiterhin sicherzustellen. Insbesondere können Abweichungen von den Vorschriften zu den Voraussetzungen für und die Voraussetzungen zum Erhalt einer Großhandelsbetriebserlaubnis, zu Voraussetzungen, Qualifikation und Zuständigkeiten der Verantwortlichen Person, zum Personaleinsatz, zu den Räumlichkeiten, zu Lagerung und Transport, einschließlich der Vorschriften für Produkte, für die besondere Bedingungen gelten, zum Qualitätsmanagement, zum Erwerb und zur Abgabe von Arzneimitteln, zu Rückgaben, ausgelagerten Tätigkeiten, Tätigkeiten im Auftrag sowie zur Dokumentation gestattet werden.
Redaktionelle Hinweise:
- In der Begründung zu § 8 RefE (Verkaufs- und Verpflichtungsverbot) zu Absatz 1 sind die Wörter „in Satz 2“ durch die Wörter „in Absatz 4“ zu ersetzen.
- In der Begründung zu § 8 Absatz 4 RefE sind die Wörter „Absatz 2“ durch die Wörter „Absatz 4“ zu ersetzen.
Der PHAGRO | Bundesverband des pharmazeutischen Großhandels e. V. vertritt alle 11 in Deutschland ansässigen vollversorgenden pharmazeutischen Großhandlungen, die sämtliche öffentlichen Apotheken in Deutschland herstellerneutral mit allen von Patienten nachgefragten Arzneimitteln schnell, sicher und flächendeckend versorgen.